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» Änderung § 56a GewO / Wanderlager «

Hallo Forum,

Die Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf ist seit vorgestern raus:

Viele meiner Bedenken sind hier aufgenommen worden und in seriösere Worte gefasst als das ich das gewöhnt bin. Inhaltlich gehe ich aber da voll und ganz mit.



[URL]http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/066/1806676.pdf[/URL]




Folgende Maßnahmen der Gesetzesinitiative begegnen rechtlichen Bedenken:
1. AnzeigepflichtfürgrenzüberschreitendtätigeVeranstalter
Veranstalter, die ihren Sitz in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat haben
Anlage 2
und nur vorübergehend in Deutschland tätig werden, sollen der Anzeigepflicht nach § 56a Absatz 1 Satz 1 der Gewerbeordnung (GewO) unterliegen. Dazu soll § 4 Absatz 1 Satz 2 GewO geändert werden, der 2009 zur Umsetzung des Artikels 16 der Dienstleistungsrichtlinie (DL-RL) eingeführt wurde. Dieser schreibt vor, dass Genehmigungen und sonstige Anforderungen an Dienstleistungserbringer, die von einer Niederlassung in einem anderen EU-Mitgliedstaat in Deutschland tätig sind, nur dann aufrecht erhalten werden dürfen, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Umweltschutzes gerechtfertigt ist. Eine Aufrechterhaltung von Anforderungen aus Gründen des Verbraucherschutzes ist hingegen nicht zulässig.
Anzeigepflichten wie diejenigen nach § 56a Absatz 1 Satz 1 GewO sind Anforderungen im Sinne des Artikels 16 der DL-RL. Eine Aufrechterhaltung der Anzeigepflicht wäre daher nur aus den genannten vier Rechtfertigungsgründen zulässig. Die Rechtfertigungsgründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sind im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen. Danach muss ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt sein, worunter Bedrohungen eines geordneten menschlichen und staatsbürgerlichen Zusammenlebens fallen. Die wieder eingeführte Anzeigepflicht soll der Bekämpfung und Vermeidung von Straftaten und dem Schutz älterer, besonders schutzbedürftiger Menschen dienen. Dies wäre nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union voraussichtlich nicht ausreichend, um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anzunehmen. Vielmehr dürfte der Schutz älterer Menschen vor Übervorteilung in den Bereich des Verbraucherschutzes fallen, der gerade kein Rechtfertigungsgrund nach Artikel 16 der DL-RL ist. Somit dürfte die Wiedereinführung der Anzeigepflicht gegen Artikel 16 der DL-RL verstoßen.
2. VerbotdesVertriebsbestimmterWarenundDienstleistungen
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
Die Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) hat eine vollharmonisierende Regelung in Bezug auf unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern zum Gegenstand. Sie wurde im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb umgesetzt. Strengere nationale Vorschriften sind damit in ihrem Anwendungsbereich nicht zulässig, selbst wenn diese dem Verbraucherschutz dienen. Grundsätzlich steht die UGP- RL damit einem in ihren Bestimmungen nicht vorgesehenen Verbot bestimmter Vermarktungsformen, wie sog. Kaffeefahrten, entgegen - und zwar auch begrenzt auf bestimmte Produktgruppen. Das im Gesetzentwurf vorgesehene Vertriebsverbot für Finanzdienstleistungen bleibt jedoch wohl von der UGP-RL unberührt. Denn nach Artikel 3 Absatz 9 in Verbindung mit Erwägungsgrund 9 der UGP-RL können Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen restriktivere und strengere Anforderungen vorsehen als in der Richtlinie vorgesehenen. Es erscheint auch zumindest vertretbar, das im Gesetzentwurf vorgesehene Vertriebsverbot für Nahrungsergänzungsmittel und Medizinprodukte als nicht von der UGP-RL erfasst anzusehen, da diese nach Artikel 3 Absatz 3 in Verbindung mit Erwägungsgrund 9 Rechtsvorschriften in Bezug auf „Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten“ unberührt lässt.
Die Bundesregierung weist allerdings darauf hin, dass die Europäische Kommission im Juli 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eröffnet hat. In Österreich sind der Vertrieb bestimmter Produkte, u.a. von Nahrungsergänzungsmitteln und Medizinprodukten, im Rahmen von Verkaufsveranstaltungen im Reisegewerbe verboten. Die Kommission ist der Ansicht, dass die österreichischen Vorschriften gegen die UGP-RL verstoßen, da die Regelungen insofern vorrangig nicht den Schutz der Gesundheit , sondern dem – von der UGP-RL vollharmonisierten – Schutz von Verbrauchern vor irreführenden und aggressiven Vermarktungspraktiken beträfen.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
3. EinschränkungdesVertriebsvonPauschalreisen:
Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, dass zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes ein Vertriebsverbot für Pauschalreisen erforderlich ist. Denn bei der Buchung von Pauschalreisen außerhalb von Geschäftsräumen werden Verbraucher bereits durch ein Widerrufsrecht geschützt, wenn die Vertragsverhandlungen nicht auf vorhergehende Bestellung des Verbrauchers geführt worden sind (§ 312 g Absatz 2 Satz 2 BGB). Damit wird bei Verkaufsveranstaltungen im Reisegewerbe von der sonstigen Rechtslage bei Pauschalreisen abgewichen. Grundsätzlich gibt es bei Pauschalreisen aufgrund des zeitgebundenen Charakters der Verträge kein Widerrufsrecht.
Hinzu kommt, dass im Pauschalreiserecht künftig in der EU ein einheitliches Verbraucherschutzniveau herrschen wird. Die künftige Pauschalreiserichtlinie (PRRL) geht mit wenigen ausdrücklich benannten Ausnahmen von einer Vollharmonisierung aus. In Artikel 4 der künftigen RL heißt es: „Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende nationale Rechtsvorschriften aufrecht noch führen sie solche ein; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Schutzniveaus für den Reisenden.“
Auch wenn die PRRL selbst nur vertragsrechtliche Verhältnisse zwischen Reiseveranstaltern, Reisevermittlern, Leistungserbringern und Reisenden regelt, könnte diese Vorschrift so verstanden werden, dass sie den Verbraucherschutz im Pauschalreiserecht abschließend regelt. Denn eine Beschränkung der „abweichenden nationalen Rechtsvorschriften“ auf zivilrechtliche Normen würde dazu führen, dass die Mitgliedstaaten den Regelungszweck der PRRL durch den Erlass öffentlich-rechtlicher Normen und Verbote konterkarieren könnten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden dass die EU-Kommission eine Gesetzgebung in diesem Bereich vor
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
dem Hintergrund der laufenden Umsetzungsfrist der Pauschalreiserichtlinie kritisch beobachten wird.
4. Förderung einer Veranstaltung als Ordnungswidrigkeit
Problematisch erscheint die Einführung eines neuen § 145 Absatz 3a GewO, wonach auch derjenige ordnungswidrig handelt, der rechtswidrige Wanderlager vorsätzlich fördert. Das Ordnungswidrigkeitenrecht sieht in § 14 OWiG einen einheitlichen Täterbegriff vor und bestimmt, dass jeder ordnungswidrig handelt, der sich an einer Ordnungswidrigkeit beteiligt. Eine Differenzierung nach der Art des Tatbeitrags ist anders als im Strafrecht nicht notwendig, da sich hieran keine unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpfen. Die hier vorgesehenen verselbständigten Teilnahmehandlungen – zumal wenn sie lediglich zur Überwindung von Beweisschwierigkeiten dienen sollen – kommen daher im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht in Betracht. Zudem bestünde die Gefahr, dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff „fördern“ auch Busunternehmen oder Gaststätten erfasst werden, die lediglich Teilleistungen übernehmen (Transport von Personen zur Veranstaltung, Vermietung von Räumlichkeiten, Catering), ohne an der Organisation der Gesamtveranstaltung beteiligt zu werden.
Die Bundesregierung unterstützt folgende Maßnahmen der Gesetzesinitiative:
1.
Postfachadressen
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass bei der behördlichen Anzeige und der öffentlichen Ankündigung einer Verkaufsveranstaltung die Angabe einer Postfachadresse als nicht ausreichend angesehen wird. Nach Erfahrungen aus der Praxis nutzen gerade unseriöse Anbieter in der Praxis häufig Postfachadressen. Dies bereitet den zuständigen Behörden Probleme im Vollzug.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
2. Erhöhung des Bußgeldrahmens
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, die Bußgeldrahmenbeträge des § 145 Absatz 4 GewO mit dem Ziel einer Anhebung zu überprüfen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Erhöhung von lediglich zwei der vier Bußgeldrahmenbeträge würde jedoch bewirken, dass die im derzeitigen §145 Absatz 4 GewO vorgenommene Abstufung der einzelnen Tatbestände nach dem Unrechtsgehalt der Zuwiderhandlungen nicht länger aufrechterhalten bliebe. Aus diesem Grund kann der vorgeschlagenen Regelung nicht zugestimmt werden.



Gepostet am 13.11.2015 um 14:22 von:
Benutzer: jonas kuckuk
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