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» Sportwetten aktuell 20. 11. 2009 «

Die Bedingungen für ein gutes Fußballspiel sind bestens an diesem 18. Oktober. Der Platz ist gut, das Wetter passt, 350 Zuschauer sind ins Mösle-Stadion gekommen, um die Partie zwischen der Regionalligamannschaft des SC Freiburg und dem Team des ehemaligen Bundesligisten SSV Ulm zu verfolgen. Freiburg liegt 0:1 zurück, ein glückliches Freistoßtor für die Ulmer. Sie haben die Chancen für das zweite Tor, nutzen sie aber nicht. "Die Ulmer sind stark", meint der wenige Tage später verstorbene SC-Präsident Achim Stocker zur Pause. In der zweiten Hälfte dreht Freiburg das Spiel. Es ist eine von beiden Seiten intensiv geführte Begegnung. Nach wiederholtem Foulspiel schickt Schiedsrichter Schalk die Ulmer Akteure Andreas Mayer und Davor Kraljevic vorzeitig vom Spielfeld. Am Ende steht auf der elektronischen Anzeigentafel ein 3:1 für Freiburg.

Niemandem im Stadion sind Besonderheiten aufgefallen, nichts, was einen merkwürdigen Eindruck hinterlassen hätte. Ulm hat sich nicht willenlos ergeben, die beiden Platzverweise waren angemessen. Oder waren sie provoziert? Keine absichtlich vergebenen Torchancen, kein lässiges Abwehrverhalten. Ein Spiel wie Hundert andere, die an diesem Oktobersonntag ausgetragen wurden. "Alles ganz normal", pflichtet Marcus Sorg, der Trainer der Freiburger, bei. Das sagt er im Rückblick, damals hätte er sich nicht anders geäußert. Damals hätte er vielleicht noch etwas hinzugefügt, heute hält er sich zurück. Noch sei schließlich nichts bewiesen.

Aber es könnte sein, dass das Ergebnis manipuliert wurde. Besagter Davor Kraljevic soll, so ein Verdacht, Geld dafür bekommen haben, dass das Spiel genau so ausgeht wie es ausging. Die Partie Freiburg II gegen SSV Ulm ist eine von 32 Begegnungen im deutschen Fußball, deren Ergebnisse beeinflusst worden sein sollen, nach Informationen der ARD sollen es sogar 60 Paarungen sein. Die Staatsanwaltschaft Bochum, die die Ermittlungen führt, hüllt sich in Schweigen. Der neuerliche Wettskandal beschränkt sich indes keineswegs auf Deutschland, Sportveranstaltungen in 17 europäischen Ländern stehen unter Manipulationsverdacht, darunter 200 Fußballspiele.

Die Diskussion, die sich daraus ergeben hat, mutet jedoch sonderbar an. Nicht darüber wird debattiert, dass es neben den Betrugsmöglichkeiten auch ganz erhebliche Suchtgefahren durch Sportwetten gibt und schon viele Menschen durch ihre Spielsucht in existenzielle Not geraten sind. Und auch nicht darüber, wie man dem Treiben Einhalt gebieten könnte oder welchen Rahmen das Wettgeschäft braucht. Vielmehr wird diskutiert, ob der Markt liberalisiert werden soll. Denn in Deutschland ist das Zocken in Wettbüros und im Internet eigentlich gar nicht erlaubt. Der 2008 in Kraft getretene Glücksspielstaatsvertrag verbietet das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet. Für deutsche Kunden sollen nach Expertenschätzungen aber etwa 3000 Sportwettenseiten zugänglich sein.

Der Cashpoint in der Lörracher Innenstadt ist ein Ort, an dem Zocker ihrer Leidenschaft nachgehen können. Der Platz hinter dem Tresen ist unbesetzt. In einem Nebenraum sitzen fünf junge Männer am Pokertisch. Ein paar Flachbildschirme an den Wänden preisen die Wettangebote an, die Wettscheine liegen in Stapel bereit, aber niemand ist an diesem späten Nachmittag da, um zu wetten. Einer der Pokerspieler schaut rüber. Er komme, wenn es nötig ist, ruft er. Offenbar ist es üblich, dass Unbekannte sich hier erst einmal einen Überblick verschaffen.

Das ist gar nicht so einfach. Neben den Wettscheinen liegt auf dem Holztresen die nötige Wettlektüre, Zahlen über Zahlen, 16 Seiten, getackert, beidseitig klein bedruckt. Enthalten ist in dem Heft alles, worauf man in dieser Woche wetten kann. Auf Skiläuferin Maria Riesch etwa bei der Frauen-Abfahrt in Aspen, auf die Volleyballer von Dukla Libere im Spiel gegen Slavia Havro in Tschechiens Extraliga oder auf die Bundesligapartie zwischen Nürnberg und dem SC Freiburg. Bei zehn Euro Einsatz und einem Sieg der Freiburger zahlt das Wettbüro 34 Euro Gewinn aus, 2,50 Euro mehr als der staatliche Wettanbieter Oddset. Und: Eine Bearbeitungsgebühr, wie sie Oddset verlangt, muss man hier nicht zahlen.

Sie sind sich nicht grün, die privaten Wettanbieter und der staatlich lizenzierte Betreiber Oddset. Und schon gar nicht können sie sich darauf verständigen, wie ein einigermaßen sicherer und vor Manipulationen gefeiter Wettmarkt aussehen könnte. Die Privaten behaupten, dass das staatliche Monopol eine Einladung für die Zocker sei, auf dem Schwarzmarkt zu wetten. Um ihre These zu untermauern, führen sie eine Studie der Universität Linz an. Danach habe der Umsatz auf dem deutschen Schwarzmarkt bei Sportwetten aufgrund des Verbotes 2008 um 370 Prozent zugelegt.

Der staatliche Anbieter behauptet indes, dass die einzigen segensreichen Wetten bei ihm getätigt werden können. "Viele ehrliche Tipper sind verunsichert und stellen sich zu Recht die Frage, wie es so weit hat kommen können", schreibt der staatliche Anbieter in seiner Hauspostille Glücksmagazin – und kommt, wie nicht anders zu erwarten, zum Schluss: "Oddset steht für höchste Transparenz und Seriosität." Das ist ein ziemliches Eigenlob – ganz falsch ist es aber nicht: Denn in der Regel müssen bei Oddset mindestens drei Spielpaarungen kombiniert werden, es sind meist keine Amateurligen dabei. Einzelwetten oder Zweierkombinationen sind hingegen nur wenige zugelassen. Auch Live-Wetten sind nicht im Oddset-Programm enthalten. Und auch nicht Wetten, die zu Manipulationen geradezu einladen: Welche Mannschaft zu Beginn der zweiten Halbzeit den Ball zuerst ins Aus schießt oder welche Mannschaft einen Platzverweis erhält – dies alles ist beim staatlichen Anbieter nicht zu tippen. Zudem wird das Spielgeschäft mit einem Echtzeit-Kontrollsystem überwacht. Wer zum Beispiel mit dem Spielpass – einer Karte im Scheckkartenformat – an verschiedenen Annahmestellen viel Geld auf die gleichen Partien tippt, dessen Wette wird einfach nicht mehr angenommen.

So genau nehmen es andere Wettanbieter nicht. So war es dem lange in Deutschland lebenden und inzwischen untergetauchten Malaysier William Bee Wah Lim im November 2005 möglich, 2,8 Millionen Euro auf dem asiatischen Wettmarkt darauf zu setzten, dass der damalige Fußball-Erstligist 1. FC Kaiserslautern seine Partie bei Hannover 96 verlieren wird. Die Pfälzer unterlagen 1:5 – und Lim war mit dem Schlusspfiff um 2,2 Millionen Euro reicher.

Lim oder der inzwischen auch wieder verhaftete Ante S., schon 2005 einer der Drahtzieher im Wettskandal um den Schiedsrichter Robert Hoyzer, platzieren ihre Einsätze auf dem asiatischen Markt in der Regel über Makler in europäischen Ländern wie bei den für ihre Wettfreude bekannten Briten. Ante S. soll Kontakt zu zwei chinesischen Mitarbeitern gehabt haben, die die Anweisungen aus Deutschland umsetzten. Das Schwarzgeld, das der Wettpate mit manipulierten Fußballspielen verdient haben soll, ließ er angeblich von einem Mann in Malaysia waschen – auf deutschen Konten tauchte das Geld nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler jedenfalls nie auf.

Das Anwerben von Spielern, die Partien manipulieren, ist anscheinend nicht sehr schwierig. Zunächst werden Informationen über den Athleten eingeholt. Hat er Geldsorgen? Ist er über die private Schiene unter Druck zu setzen? Hat er schon mal kundgetan, gerne zu zocken? Dann nimmt ein Vermittler Kontakt zu dem betreffenden Spieler auf. Kommt man ins Geschäft und funktioniert die Manipulation, dann wird er erneut angesprochen. Hat die Manipulation nicht geklappt, wird der Sportler massiv unter Druck gesetzt.

Besonders viel Geld wird auf dem asiatischen Wettmarkt umgesetzt, die genauen Summen lassen sich aber nur abschätzen. Die Spekulationen liegen allgemein im ein- bis zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich und beruhen auf Fällen wie dem des Untergrundwettpaten Qian Baochun. Der 41-Jährige soll rund 660 Millionen Euro mit Fußballwetten im Internet umgesetzt haben, insbesondere während der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006. Anfang des Jahres wurden Qian mit 18 Komplizen zu einer langen Haftstrafe verurteilt.

Entsprechend tummeln sich rund um den Sport zwielichtige Figuren und es passieren eigenartige Dinge. Einer, der damit in Berührung kam, ist der deutsche Fußball-Ex-Nationalspieler Jörg Albertz. Er war im Februar 2003 als erster deutscher Profi in die chinesische Liga gewechselt, wo er auf Anhieb mit Shanghai Shenhua Meister wurde. Zwei Jahre später kehrte Albertz China aber frustriert den Rücken. "Es gab schon viele Dinge, die mir spanisch vorgekommen sind. Im einen Jahr wirst du Meister und bekommst dann noch Verstärkungen, und in der nächsten Saison verlierst du nur noch. Da konnte was nicht stimmen, denn wir haben Tore kassiert, die eigentlich gar nicht möglich waren", sagt Albertz. Mitspieler, die in der Meistersaison wie Hasen über den Platz rannten, kickten in der Folgesaison so, als wären sie zu Wachsfiguren erstarrt. Und Schiedsrichter pfiffen Ecken für den Gegner, obwohl weit und breit von seiner Mannschaft kein Spieler in der Nähe war.

Es ist ein Paradoxon: Weil der chinesische Fußball so korrupt ist, setzen die Chinesen lieber auf Spiele in Europa. Von denen nehmen sie an, dass sie nicht verschoben werden. Dadurch kommen mehr europäische Spiele ins asiatische Wettsystem – und auf diese Partien haben dann Leute wie Ante S. und Konsorten wieder ihren verbrecherischen Einfluss.

Im Cashpoint ist unterdessen der junge Mitarbeiter aufgestanden und herübergekommen, fragt, ob er helfen kann. Am späteren Abend sei mehr los, beteuert er. Wenn die interessanten Fußballspiele laufen. Dann komme auch der Chef. Auf den Flachbildschirmen läuft dann Fußball, denn wetten kann man hier natürlich auch während des Spiels. Die meisten, die wetten, seien Stammkunden, die immer wieder hereinschauen.

Er selbst sei erst seit kurzem hier, berichtet der Mitarbeiter, genau wie sein Chef. Ob er sich bewusst sei, illegal zu arbeiten, weil private Wettbüros eigentlich verboten sind? Der junge Mann zögert keine Sekunde. "Wenn unser Wettbüro illegal wäre, dann gäbe es den Laden nicht", behauptet er, zieht die Schultern hoch, gesteht dann aber freimütig: "Wir bekommen regelmäßig Post vom Staatsanwalt mit der Aufforderung, das Wettbüro zu schließen."

Bisher hat das aber nicht verhindert, dass die Lörracher Filiale seit zwei Jahren ununterbrochen geöffnet ist. "Der Trick ist, jedes Jahr den Besitzer zu wechseln", verrät der Mann weiter. Die Gerichte benötigen zirka ein Jahr, um ein privates Wettbüro dicht zu machen. Gibt es einen neuen Inhaber, beginnt das Verfahren von vorne. So dreist, so einfach. Private Wettbüros können nur so überleben. Bei Franchiseketten wie dem Wettanbieter Cashpoint oder Ambassador können die Inhaber der Wettbüros ein munteres Bäumchen-wechsel-dich spielen.

[URL]http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/panorama/sportwetten-der-le
icht-verdiente-euro-lockt--23532337.html[/URL]

Grüße,

Claire



Gepostet am 14.01.2010 um 09:46 von:
Benutzer: Claire
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