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-- Gewerbeanzeigeverfahren/Scheinselbststän digkeit (https://www.forum-gewerberecht.de/thread.php?threadid=12291)


Geschrieben von Civil Servant am 11.07.2014 um 15:42:

 

Da es bei Beginn der Tätigkeit kaum etwas zu prüfen gibt, Beweismittel gibt es natürlich noch keine, ist der Anzeigenserstatter selbst die einzige Informationsquelle. Mit dieser Person kann man natürlich sprechen. Ob etwas dabei herauskommt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Ist er Osteuropäer, wird es schon mit der Konversation problematisch. Wenn die Politik aber gleichzeitig das faktische anonyme Gewerbe anzeigen übers Internet ermöglicht, bestehen hier enorme Zielkonflikte.

Ich erinnere mich gut an zahllose Klage des Zoll, darüber, dass es ihnen insbesonder bei Osteuropäern bei Baustellenkontrollen nur selten gelingt, Scheinselbständigkeit gerichtsfest nachzuweisen. Ich denke, dass sich hier die Dinge nur dann ändern, wenn die Justiz härter durchgreift oder aber die Hürden für die Beweisführung abgesenkt werden oder sogar eine Beweislastumkehr erfolgt. Alles andere dürfte Kosmetik sein, die zwar ein erhebliches Problem im Blick hat, aber im Endergebnis unwirksam bleibt.



Geschrieben von SE-Schwarzarbeit am 16.07.2014 um 17:43:

 

Nun wird es Zeit, dass ich mich auch in die Diskussion einmische. Habe sie aber auch noch nicht so lange verfolgt...

- Ein Gewerbeamt wird mit den aktuellen Rechten und personellen Ressourcen eine Scheinselbständigkeit nie erkennen können.
- Selbst das Vorlegen einer Handwerkskarte ist kein Indiz für einen ordentlich geführten Gewerbe- bzw. Handwerksbetrieb.

Es ist Fakt, aber sehr schwer nachweisbar, dass häufig Firmen statt eigenem Personal (Schein-)Selbständige aus aller Herrenländer einsetzen. Sie sparen damit die Personalverwaltung und Lohnfortzahlung, wenn die Auftragsbücher mal nicht so prall sind bzw. der Auftrag fertig ist.
Die Mindestlohnregelungen greifen nur für abhängig Beschäftigte. Darf ich als Bauunternehmer also einen Osteuropäer nicht mehr für 7 EUR beschäftigen, so suche ich mir z.B. einen selbständigen Osteuropäer, der die gleiche Arbeit mit weniger Rechten und weniger Aufwand für mich für 7 EUR erledigt. Ich muss nur aufpassen, dass die Arbeit auch meinen Qualitätsanforderungen entspricht.
Ich kann sogar mehr als die 7 EUR versprechen und dann wegen mangelhafter Ausführung nachträglich Abzüge machen. Ich als Bauunternehmer habe also von Selbständigen mit entsprechenden Fertigkeiten nur Vorteile.

Wenn nur Ebene der Ministerien/Staatssekretäre diskutiert wird, so fehlen dort sicherlich die Erkenntnisse der Basis. Auch ich muss eine jährliche Statistik abliefern, wieviel Ordnungswidrigkeitenverfahren mit welchen Ergebnissen im Bereich des Gewerbe- und Handwerksrecht durchgeführt wurden. Aus den Zahlen, die ich für diese Statistik abliefern musste, ist die tatsächlich Lage nicht ersichtlich. Mangels Personalressourcen und (aus meiner Sicht notwendigen) Ermittlungsrechten konnte vieles einfach nicht verfolgt werden. Also wenig Verfahren, wenig rechtskräftige Bußgeldbescheide. Diese Zahlen falsch interpretiert belegen dann aber, dass die Welt hier in Ordnung scheint, die Schwarzarbeit weiter auf dem Rückzug ist.
Und wenn die Schwarzarbeit auf dem Rückzug ist, braucht weder Personal noch der Rechtsrahmen angepasst werden.

Es gab schon so manch eine Initiative, die kommunalen Verfolgungsbehörden (teilweise wieder, teilweise endlich) mit mehr Rechten auszustatten, damit im eigenen Zuständigkeitsbereich effektiv ermittelt werden könnte. Eine Vorlage aus Niedersachsen ist vor Jahren im Ausschuss für Tourismus untergegangen. Ich weiß noch von mindestens zwei weiteren, deren Weg ich nicht folgen konnte. Rausgekommen ist bisher nichts. Stattdessen hat die Bundespolitik aber die Rechte der eigenen Verfolgungsbehörden ausgeweitet.
Ob die Kompetenz angezweifelt wird oder ob einfach die Lobby fehlt?

Es geht dem Handwerk aber zurzeit wohl auch sehr gut, denn ich bekomme in Zeiten schlechter Auslastung sehr häufig Meldungen über vermeintliche Schwarzarbeit z.B. von unterlegenen Betrieben öffentlicher Ausschreibungen. Seit deutlich mehr als 12 Monaten habe ich kaum Hinweise bekommen...

manfish empfehle ich auch das Forum Schwarzarbeit (http://www.bkschwarzarbeit.de/), wo z.B. die handwerksrechtlichen Aspekte der Schwarzarbeit beleuchtet werden. In diesem Forum geht es überwiegend um die gewerberechtlichen Aspekte. Etliche Mitarbeiter sind in beiden Bereichen und in beiden Foren aktiv.



Geschrieben von manfisch am 17.07.2014 um 17:37:

 

Vielen Dank die Hinweise und Anregungen!
Der Beschluss des Bundesrates wirft wirklich viele Fragen auf. Nach welchen Anhaltspunkten für Scheinselbstständigkeit sollen die Gewerbebehörden überhaupt suchen? Wenn zehn osteuropäische Fliesenleger unter der gleichen Adresse gemeldet sind, ist das für sich betrachtet ja nicht verboten. Genauso wenig ist es verboten, dass sie nicht Deutsch sprechen. Oder dass sie vorher in ihrem Leben noch nie Fliesen verlegt haben und das jetzt als "Unternehmer" für fünf Euro die Stunde tun.

Zollbeamte, die solche Sammelunterkünfte überprüfen, sagen, dass es für sie extrem schwierig ist, Scheinselbstständigkeit nachzuweisen. Sie müssen eine lange Indizienkette aufbauen. Und Scheinselbstständigkeit allein ist nicht jusitziabel, wenn ich das richtig verstanden habe. Fälle landen nur vor Gericht, wenn Steuern (§370) oder Sozialabgaben (§266a) hinterzogen worden sind. Und dann soll es nicht selten vorkommen, dass das Verfahren endet wie das Hornberger Schießen. Die DRV soll immer wieder Rückzieher machen - warum allerdings ist mir nicht klar(?).

Aus Handwerkskammern ist zu hören, dass sie es hilfreich fänden, wenn mehr formale Voraussetzungen an eine Gewerbeanzeige geknüpft wären. Zum Beispiel, dass jeder Gewerbegründer einen Festnetz-Telefonanschluss und ein Geschäftskonto nachweisen muss. In Luxemburg und Frankreich werden offenbar detailliertere Angaben bei der Anmeldung verlangt als in Deutschland.

Sehr fraglich erscheint mir, wie das mit elektronischen Anzeigenverfahren klappen soll. "Zielkonflikt" - das bringt es auf den Punkt! Das Risiko, dass Behörden gefälschte Dokumente untergeschoben werden, dürfte doch im Netz steigen - und damit der Arbeitsaufwand zur Prüfung. In der Beschlussvorlage für den Bundesrat allerdings ist von Bürokratieabbau dank des elektronischen Verfahrens die Rede.

Zurzeit sind die Auftragsbücher im Bauhandwerk voll, auf vielen Baustellen gibt es personelle Engpässe. Ja, da hält sich die Aufregung über Scheinselbstständige und Schwarzarbeiter wohl in Grenzen. Die Statistiken und Analysen des Linzer Professors Schneider (von manchen Experten werden sie angezweifelt) tun ihr Übriges dazu. Bis zur nächsten Delle am Bau.



Geschrieben von domar am 18.07.2014 um 09:56:

 

Zitat:
Original von manfisch
Vielen Dank die Hinweise und Anregungen!
...

Die DRV soll immer wieder Rückzieher machen - warum allerdings ist mir nicht klar(?).

...


Weil es an der fortgesetzten Tätigkeit mangelt. Dem Selbstständigen muss die Möglichkeit eingeräumt werden, dass er sich am Markt behaupten kann. Dazu braucht er Zeit. Diese Zeit dauert so lange, dass er bereits Weihnachten zu Hause und er sein Gewerbe wieder hier in Deutschland abgemeldet hat. Also wenn ich an einen Gewerbetreibenden komme, der nach 3 Monaten Aufenthalt auf nur einer Baustelle arbeitet, ist noch nicht von Scheinselbstständigkeit zu sprechen. Heißt wohl dann, dass der Selbstständige über einen längeren Zeitraum beobachtet werden müsste bzw. immer und immer wieder beim Arbeiten für denselben Generalunternehmer angetroffen werden müsste. Da verdrehen viele Juristen die Augen, wenn immer wieder die gleichen Leute kontrolliert werden würden. Schließlich sind wir ein Rechtsstaat. Womit sie recht haben.

Es soll auch einige Urteile geben, die mir nicht bekannt sind. Allerdings sagte dies in einem Gespräch ein Zollbeamter.

Mir fehlt da die Phantasie wie man dagegen vorgehen kann, wenn es keine weiteren Personalkosten verursachen soll. Und dann wie bereits erwähnt die Rechtsstaatlichkeit, die darf auch nicht auf der Strecke bleiben.



Geschrieben von Civil Servant am 21.07.2014 um 07:51:

 

Scheinselbständigkeit ist strafbar und zwar nach § 266a StGB.

Warum?

Für einen Scheinselbständigen führt der Auftraggeber, der in Wahrheit ja Arbeitgeber ist, keine SV-Beiträge ab und das ist der eigentliche Verstoß.

Entbürokratisierung ist ein Wort, dass bei mir immer Allergie auslöst, denn das geht si gut wie immer damit einher, dass Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Das wat so beim § 4 GewO. Da war zu erwarten dass die Senioren abzockende Kaffeefahrten-Mafia im EU-Ausland Firmen gründete, um sich hier dem § 56a zu entziehen. Das habe ich schon vor der Verabschiedung des Gesetzes kommen sehen und so kam es dann auch.

Wenn ich in Geschichte richtig aufgepasst habe, dann ist das so, dass die Staaten seit den ersten Staatenbildungen in der Frühantike einen Teil ihre Existenzberechtigung daraus abgeleitet haben, dass sie der Bevölkerung versprachen für Recht und Ordnung zu sorgen. Dieses Prinzip hat man zum Teil derart pervers ins Gegenteil verkehrt, dass Staat und Gesellschaft heutzutage als Ganzes in die Röhre gucken.

Noch etwas ist mir aufgefallen: Es gibt auf Bundesebene einen Bund-Länder-Erfahrungsaustausch Schwarzrabeit. Wir als Vollzugsbehörden haben mit diesem Gremium praktisch keine Kommunikation. Die köcheln dort im eigenen Saft. Auch das ist ein Problem und sorgt dafür, dass wir zunehmend Gesetze bekommen, die zwar ein sinnvolles Ziel verfolgen aber nicht alltagstauglich sind.



Geschrieben von SE-Schwarzarbeit am 21.07.2014 um 10:14:

 

Zitat:
Original von Civil Servant...Noch etwas ist mir aufgefallen: Es gibt auf Bundesebene einen Bund-Länder-Erfahrungsaustausch Schwarzarbeit. Wir als Vollzugsbehörden haben mit diesem Gremium praktisch keine Kommunikation. Die köcheln dort im eigenen Saft. Auch das ist ein Problem und sorgt dafür, dass wir zunehmend Gesetze bekommen, die zwar ein sinnvolles Ziel verfolgen aber nicht alltagstauglich sind.

Diesen Bund-Länder-Erfahrungsaustausch gibt es auf ministerieller Ebene.
Im Land Schleswig-Holstein wird (möglichst) einmal jährlich in das Ministerium gerufen, um dort einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen den Kreisordnungsbehörden und dem Ministerium zu ermöglichen. In der Vergangenheit war die Tagesordnung meist zu lang für die geplante Zeit, aber auf einen zweiten Termin konnte man sich in der Vergangenheit nicht einigen.
Ich weiß jetzt nicht, ob Du auf Kreis- oder auf örtlicher Ebene tätig bist. Jedenfalls solltest Du Dich regelmäßig mit der nächsthöhren Dienststelle austauschen, ggf. Mitstreiter zu animieren, es Dir gleich zu tun. Woher sollte sonst das Ministerium wissen, was "unten" läuft (oder eben gerade nicht läuft und verbessert werden muss).
Habe aber keine zu hohen Erwartungen, je höher diskutiert wird, umso weniger geht es um den Einzelfall und eine Einzelfall-Lösung.



Geschrieben von domar am 21.07.2014 um 13:24:

 

Ohne die Antwort dem Kollegen vorwegzunehmen, kann hier auf Landkreisebene der Eindruck entstehen, dass es nicht gewollt ist. Weitere Äußerungen wären eher für den nichtöffentlichen Bereich geeignet.



Geschrieben von Civil Servant am 21.07.2014 um 13:41:

 

Ich bin seit 21 Jahren im Geschäft und darum, Berichte nach oben zu schreiben, war ich noch nie verlegen. Über entsprechende Kontakte haben wir es sogar vermocht in einem Detail eine Änderung der GewO herbeizuführen.

Im Übrigen sehe ich eine Bringschuld bei den übergeordneten Stellen. Wenn Gesetz- u. Verordnungsgeber wollen, dass ihre Normen umgesetzt werden, müssen sie mit denen reden, die das Ganze anwenden sollen. Sie haben den Wissenvorsprung, sie haben die Referentenentwürfe als erste auf dem Tisch und nicht umgekehrt.

Was die BR-Drucksache anbetrifft, gibt die m.E. noch nicht so recht her, was die Kommunen zukünftig machen sollen. Wenn ich nicht völlig daneben liege, geht es im Kern um eine Modifikation der Zusammenarbeitsvereinbarung mit den Zollbehörden, wonach die Kommunen schon jetzt Verdachtsfälle weitermelden.



Geschrieben von jonas kuckuk am 22.07.2014 um 10:18:

  Zum Schein gegen Schein

Hallo Forum,

Das ist am Ende aus der Reform des Anzeigeverfahrens geworden? War es nicht Ziel das Anzeigeform deutlich zu verschlanken? Ein einheitliches Formular zu schaffen?

Und nun will man den Behörden auch noch "verdächtige Gewerbeanmeldungen"- was auch immer das sein soll- ans Bein binden?

Meiner Meinung nach ist das ein deutlicher Verstoß gegen das Prinzip der Gewerbefreiheit oder möchte sich hier wer schon mal öffentlich dazu äußern was "verdächtige Gewerbeanmeldungen" sind.

Das Thema Scheinselbstständig ist allein schon so komplex und ist nicht dazu geeignet schon bei der Gewerbeanmeldung geprüft werden zu können. Eigentlich ist es sogar absurd, weil der gewerbetreibende bis dato schlißelich noch keinen Handschlag getan hat.

Daten an die Handwerkskammer? Nö, möglichst garnichts, die bekommen schon bei vielen Gewerbeanzeigen und Anmeldungen Daten ohne Rechtsgrundlage und benutzen diese Daten um den privilegierten Mitgliedern das Leben leicht zu machen, - sprich die "Andeern", die "Verdächtigen" dann auf Kosten der Behörde nerven zu lassen. Eine preiswerte Konkurrenzbekämpfung.

Also: Ich würde sagen: Das geht gar nicht und in die falsche Richtung...

Mit Grüßen



Geschrieben von manfisch am 22.07.2014 um 15:10:

 

"Was die BR-Drucksache anbetrifft, gibt die m.E. noch nicht so recht her, was die Kommunen zukünftig machen sollen. Wenn ich nicht völlig daneben liege, geht es im Kern um eine Modifikation der Zusammenarbeitsvereinbarung mit den Zollbehörden, wonach die Kommunen schon jetzt Verdachtsfälle weitermelden."


Wenn ich das richtig verstehe, heißt das, dass jetzt schon ziemlich genau geregelt ist, welche Fälle der Finanzkontrolle Schwarzarbeit weiterzuleiten sind. Fragen die Ämter schon jetzt nach, ob jemand tatsächlich eine Betriebstätte, Geschäftsräume oder ein Geschäftskonto hat? (http://zdb.de/zdb-cms.nsf/id/bekaempfung-von-schwarzarbeit-de?open&ccm=040)

Und Ermessensspielraum haben die Ämter sicherlich ja auch. Der Paragraf 3 (3) in der neuen Verordnung macht doch dann so gut wie keinen Sinn?



Geschrieben von jonas kuckuk am 22.09.2014 um 10:59:

  ???

Moin,

Ich bin hier weiterhin kritisch und halte dieses Verfahren für aufwendig, unzulässig und nutzlos.

Weiterhin wird von verdächtigen Gewerbeanmeldungen ausgegangen, diese jedoch bisher noch immer nicht definiert.

Welche Tatbestände der "Scheinsebsständigkeit" hier zu Grunde gelegt werden ist auch eigentlich völlig egal, weil Scheinselbständigkeit erst und NUR im Nachhinein festgestellt werden könnte.

Welche Schwarzarbeitstatbestände hier gemeint sind, ist ebenfalls völlig unklar.

Innerhalb von 10 Tagen ist ebenfalls eine völlig unsinnige hektische Pflicht für Gewerbebehörden, weil der Zoll Scheinselbständigkeit nicht spontan, sondern nur aufs Jahr betrachtet erkennen kann.

Und: Heutzutage werden mehr und mehr Gesetze mit einem Gespenst begründet. Die "Einwanderung in die Sozialsysteme" durch Rümänen wurde in Bayer ebenfalls dramatisch publiziert und es handelte sich in Bayern im betreffenden Jahr um 18 Fälle.

Welche Zahlen liegen denn dieser Gesetzesinitiative vor?

Mit sehr kritischen Blick
Jonas Kuckuk


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